Camillo Golgi (1843 – 1926)

golgiGenialer Histologe und Neurobiologe

Im Jahre 1898 erschien in der italienischen Zeitschrift „Bolletino della Società medico-chirurgica di Pavia“ eine wissenschaftliche Arbeit über eine Zellstruktur, die ihr Entdecker „apparato reticolare interno“ nannte. Autor war ein Pathologe aus Pavia namens Camillo Golgi, der damals noch nicht ahnen konnte, dass sein Name in Verbindung mit dieser Zellstruktur in der Zellbiologie zu einem der am häufigsten genannten werden sollte.

Er hatte mit Hilfe einer von ihm entwickelten neuen Imprägnationsmethode, mit der man Zellen des Nervensystems mit ihren Fortsätzen darstellen konnte, in den Zellen selbst ein feines retikuläres Netzwerk entdeckt. Golgi glaubte zuerst an ein Artefakt. Erst weitere Versuche seiner Assistenten, die die gleichen Beobachtungen machten, führten zur Veröffentlichung seiner Befunde.

Geboren am 7. Juli 1843 in Corteno, einem kleinen Städtchen in der Nähe von Brescia in Norditalien, das heute Corteno-Golgi heisst, als Sohn des Arztes Alessandro Golgi, nahm Camillo Golgi als erst Sechszehnjähriger das Medizinstudium in Pavia auf.

Die medizinische Fakultät der Universität in Pavia gehörte seit dem 17. Jahrhundert zu den führenden Forschungsstätten in Italien und galt in der Mitte des 19. Jahrhunderts als eine der fortschrittlichsten in Italien. Hier wirkten auch die zwei Lehrer, die Golgi nachhaltig beeinflussten, der Pathologe Giulio Bizzozero (1846-1902), ein Schüler von Rudolf Virchow, und Cesare Lombroso (1835-1909), ein einflussreicher Psychiater und Anthropologe.

Golgi promovierte 1865 mit einer Arbeit über die Ätiologie von Geisteskrankheiten bei Lombroso und wurde sein Assistent. Lombroso ermunterte Golgi, bei Bizzozero Forschungen auf den Gebieten der Neuroanatomie und Neurohistologie zu treiben. So arbeitete Golgi bis zum Jahre 1872 in dessen Labor, wo er sich vor allem für die Neuroglia interessierte. Später heiratete er die Nichte Bizzozeros, Lina Aletti.

Wissenschaft war auch Ende des 19. Jahrhunderts in Italien eine brotlose Kunst, die Karriereaussichten an den Universitäten nicht günstig, so dass Golgi gezwungen war, aus finanziellen Gründen und unter dem Druck seines Vaters wieder eine klinische Tätigkeit aufzunehmen. Er ging als Oberarzt in eine Klinik für chronisch Kranke nach Abbiategrasso in der Nähe Pavias. Hier war er von der Wissenschaft abgeschnitten und fand eine halbverfallene Klinik ohne sanitäre Einrichtungen vor. Doch unter primitivesten Bedingungen ging er in seiner Freizeit daran, weiter histologische Forschungen zu treiben. Als Labor diente ihm die Küche des Spitals, von Golgi einmal als „nicht einmal ein Embryo von einem Labor“ bezeichnet.

Hier entwickelte er neue Fixierungs- und Färbeverfahren für die Neurohistologie, und in dieser Küche kam ihm eines Tages die Idee, eine Imprägnierung von Gewebeschnitten mit Silbernitrat („reazione nera“) durchzuführen, um Neurone samt ihren Fortsätzen darstellen zu können, eine Idee, für die er 1906 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

1873 veröffentlichte er seine Entdeckung in der „Gazetta Medica Italiana“. Der Weg zurück an die Universität war schwierig. Durch beharrliche Arbeit und Veröffentlichungen in Fachzeitschriften wurde man wieder auf Golgi aufmerksam.

1875 wurde er auf ein Extraordinariat für Histologie nach Pavia berufen. 1876 ging er für kurze Zeit nach Siena und Turin, wurde aber 1877 nach Pavia zurückberufen und 1881 zum Professor für Histologie und allgemeine Pathologie ernannt, eine Position, die er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1918 innehatte.

Hier bot man Golgi nun endlich Forschungsmöglichkeiten, obwohl sein erstes Labor, in einem ehemaligen Kornspeicher des Botanischen Gartens untergebracht, sehr bescheiden ausgestattet war. Bald jedoch galt er als einer der führenden Neurohistologen Europas. Sein Buch „Sulla fina anatomia degli organi centrali del sistema nervoso“, 1885 zum erstenmal veröffentlicht, wurde zum Hauptwerk der Neurobiologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Seine internationale Karriere war vielen seiner Professorenkollegen in Pavia ein Dorn im Auge, so dass es in den neunziger Jahren zu unschönen Auseinandersetzungen innerhalb der medizinischen Fakultät kommt. Als man 1893 Golgi den Umzug in ein neues Labor verweigert, packt er kurzerhand alles Mobiliar, alle Mikroskope und Bücher zusammen und besetzt, zusammen mit seinen Assistenten und vielen Studenten, die neuen Laborräume, in denen man zuerst ohne Wasser, Licht und Heizung anfängt zu arbeiten.

Golgi legte grossen Wert auf gute histologische Präparate, denn nur an diesen könne man exakte wissenschaftliche Beobachtungen anstellen. „Ein gutes Präparat ist wie ein Bergwerk“, sagte er einmal.

Im Gegensatz zu seinem spanischen Kollegen Ramón y Cajal, der als Begründer der Neuronentheorie des Nervensystems gilt, glaubte Golgi nicht an den Aufbau des Nervengewebes aus einzelnen neuronalen Einheiten, sondern vertrat eine synzytiale Theorie, nach der alle Zellelemente über eine Art Retikulum ihrer Nervenzellfortsätze zusammenhängen sollten.

Als „Anerkennung ihrer Arbeit über die Struktur des Nervensystems“ erhielten aber beide 1906 den Nobelpreis für Medizin. Viele weitere Auszeichnungen, wie die Ehrendoktorwürde der Universitäten Cambridge und Oxford, waren ihm vergönnt. Mit Geldern aus seinem Nobelpreis gründete er die „Fondazione Golgi“ zur Förderung junger Ärzte.

Die Verdienste Golgis gehen aber weit über die Entdeckung des Golgi-Apparates und der Metallimprägnation hinaus. Weitere von ihm entdeckte und beschriebene Strukturen sind z.B. die Golgi-Mazzoni’schen Körperchen im Perimysium oder die Golgi-Zellen der Kleinhirnrinde. Auch beschrieb er zum erstenmal die Struktur des Axons und von Gliazellen, erkannte, dass ihre Fortsätze an Kapillaren enden können und begründete eine Klassifizerung von Nervenzellen, die heute noch Gültigkeit hat (Golgi Typ I und II).

Fast unbekannt ist, dass Golgi auch Malaria-Forschung betrieb und das Medikament Quinin in die Fieberbehandlung bei Malariakranken einführte. Er hat sich in diesem Zusammenhang in den Jahren nach 1900 sehr für sozialhygienische Verbesserungen in Italien eingesetzt und in verschiedenen staatlichen Gremien mitgearbeitet.

In seinen späten Jahren war er mehrmals Dekan der medizinischen Fakultät und Rektor der Universität Pavia, Senator und Träger zahlreicher in- und ausländischer Ehrentitel. In seinem Labor hat er eine ganze Reihe italienischer und europäischer Histologen ausgebildet, die später zu führenden Wissenschaftlern auf ihren Gebieten wurden. Eine besondere Freundschaft verband ihn auch mit Albert von Koelliker, Anatom in Würzburg, der als Begründer der modernen Histologie in Deutschland gilt.

Golgi, der bis zu seinem Tod noch jeden Tag in seinem Labor arbeitete und weiter regelmässig Vorlesungen hielt, starb am 21. Januar 1926. Sein Denkmal steht heute im „Cortile della Salute“ der Universität Pavia.

Quelle: http://www.gwdg.de/~wgoetz/Golgi.htm, leicht verändert.