Goethes Farbenlehre: Tafeln

ERKLARUNG DER ZU GOETHES FARBENLEHRE GEHÖRIGEN TAFELN

Diese Tafeln, ob sie gleich das Werk nur desultorisch begleiten und in diesem Sinne als fragmentarisch angesehen werden können, machen doch unter sich ein gewisses Ganze, das seine eigenen Bezüge hat, welche herausgehoben zu werden verdienen. Nicht weniger ist es bequem und belehrend, für jede einzelne Tafel einen kurzen Kommentar zu finden, in welchem dasjenige, was sie leisten soll, auseinandergesetzt wird. Hierdurch erleichtert sich der Gebrauch derselben, und man wird sie sodann sowohl jenen Stellen, wo sie angeführt sind, gemäßer, als auch den ganzen Vortrag anschaulicher und zusammenhängender finden. Wir gehen sie der Reihe nach durch und bemerken dabei teils, was uns darin geleistet scheint, teils auch, was noch zu wünschen wäre.

ERSTE TAFEL

Erste Figur. Das einfache, aber doch zur Erklärung des allgemeinen Farbenwesens völlig hinreichende Schema. Gelb, Blau und Rot sind als Trias gegen einander über gestellt; ebenso die intermediären, gemischten oder abgeleiteten. Dieses Schema hat den Vorteil, daß alle gezogenen Diameter des Zirkels ohne weiteres die physiologisch geforderte Farbe angeben. Will der Liebhaber weiter gehen und einen solchen Kreis stetig und sorgfältig durchnüancieren, so wird dasjenige, was hier nur dein Begriff, dem Gedanken überlassen ist, noch besser vor die Sinne zu bringen sein. Die nachfolgenden Figuren sind meistens physiologischen Erscheinungen gewidmet, die wir nunmehr nach der Ordnung unsers Entwurfs und nicht nach den hier angeschriebenen Zahlen erläutern.

Zehnte Figur. Stellt vor, wie das abklingende blendende Bild (H. 39 ff.), wenn das Auge sich auf einen dunklen oder hellen Grund wendet, nach und nach die Farben verändert und auf eine oder die andere Weise im entschiedenen Gegensatze abklingt.

Sechste Figur. Vorrichtung und Phänomen, wie die blauen und gelben Schatten bei der Morgen- und Abenddämmerung zu beobachten sind (E. 70).

Fünfte Figur. Bei erstgedachter Vorrichtung stand der schattenwerfende Körper in der Mitte. Hier sind zwei Körper zu beiden Seiten angebracht. Diese Zeichnung ist als der Durchschnitt einer Vorrichtung anzusehen, die man sich leicht verschaffen kann.

Neunte Figur. Phänomen zu E. 80. Ein schwarzer Streif auf einer weißen Fläche gegen ein mit blauem Wasser gefülltes Gefä13, dessen Boden spiegelartig ist, gehalten, gibt ein Doppelbild, wie es hier erscheint, das von der untern Fläche blau, das von der obern gelbrot. Wo beide Bilder zusammentreffen, findet sich das Weiße und Schwarze des abgespiegelten Bildes.

Dritte Figur. Drückt ungefähr die Wirkung der E. 88 beschriebenen Erscheinungen aus.

Vierte Figur. Gibt Anlaß, sich die subjektiven Höfe vorzustellen, obgleich dieselben zu zeichnen und zu illuminieren mehr Sorgfalt erfordern würde.

Zweite Figur. Ein doppeltes, ineinander gefügtes Farbenschema. Das äußere, wie jenes Allgemeine der ersten Figur mit der Totalität der Farben; das innere zeigt an, wie nach unserer Meinung diejenigen Menschen, welche mit der Akyanoblepsie behaftet sind, die Farben sehen. In diesem Schema fehlt das Blaue ganz. Gelb, Gelbrot und Reinrot sehen sie mit uns: Violett und Blau wie Rosenrot und Grün wie Gelbrot.

Achte Figur. Diese ist bestimmt, gedachtes Verhältnis auf eine andere Weise auszudrücken, indem kleine farbige Scheiben erst nebeneinander und dann unter diese andere Scheiben gesetzt sind, welche den Akyanoblepten völlig von der Farbe der oberen erscheinen. Die Freunde der Natur, wenn ihnen solche Personen vorkommen sollten, werden ersucht, nach dieser Anleitung sich größere farbige Papiermuster zu verschaffen und ihr Examen des Subjekts darnach anzustellen. Da mehrere, welche auf diese Weise in Untersuchung genommen, in ihren Äußerungen übereinstimmten. so würde es auf alle Fälle interessant sein, noch zu erfahren, daß diese Abweichung von der gewöhnlichen Natur dennoch auf ihre Weise gesetzmäßig sei.

Elfte Figur. Eine Landschaft ohne Blau, wie ungefähr, nach unserer Überzeugung, der Akyanobleps die Welt sieht.

Siebente Figur. Eine Flamme, bei welcher der obere Teil als körperlich, gelb und gelbrot, der untere Teil dunstartig, blau, ja schön violett, sobald ein schwarzer Grund dahinter steht, erscheint. Es ist dieser Versuch am eminentesten mit angezündetem Weingeist zu machen.

ZWEITE TAFEL

Ist der Farbenerscheinung gewidmet, wie sie sich bei Gelegenheit der Refraktion zeigt. Da die Felder nicht numeriert sind, so bezeichnen wir sie nach ihrer Lage.

Oberes Feld. A ein helles Rund auf schwarzem Grunde, mit bloßen Augen angesehen durchaus farblos. B dasselbe, durch ein Vergrößerungsglas betrachtet. Indern es sich ausdehnt, bewegt sich das Weiße scheinbar nach dein Schwarzen zu, und es entsteht der blaue und blaurote Rand. C die Scheibe A durch ein Verkleinerungsglas angesehen. Indem sie sich zusammenzieht, bewegt sich scheinbar der dunkle Grund gegen das Helle zu, wodurch der gelbe und gelbrote Rand entsteht. Dies sind die reinen Elemente aller prismatischen Erscheinungen, und wer sie faßt, wird sich durch alles das übrige durchhelfen. In D ist zum Überfluß supponiert, als wenn die weiße Scheibe, die durch ein Vergrößerungsglas erweitert wird, eine kleinere schwarze Scheibe, die sich zugleich mit erweitert, in sich habe; wodurch also, wie in C, nur auf umgekehrtem Wege, das Schwarze scheinbar über das Weiße bewegt wird und somit der gelbe und gelbrote Rand entsteht. Beim Illuminieren hat man das Rote weggelassen, welches immer an dem Schwarzen gedacht werden muß.

Prismen sind nur Teile von Linsen und bringen, aus leicht zu begreifenden Ursachen, das Phänomen nur eminenter hervor. Die vier folgenden Felder sind prismatischen Erscheinungen gewidmet.

Das erste, links des Beschauers. Eine farblose Scheibe a wird, es sei objektiv oder subjektiv, nach b c d bewegt. Der helle, nach dem Schwarzen vorangehende Rand wird blau und blaurot, der dunkle, dem hellen Bilde folgende Rand gelb und gelbrot erscheinen, vollkommen nach dem uns nun bekannten Gesetze von B und C in dem oberen Felde.

Das Zweite, rechts des Beschauers. Ein Viereck a wird, objektiv oder subjektiv, nach b c d geführt. Im ersten und letzten Falle sind nur zwei Seiten gefärbt, weit die beiden andern dergestalt fortgerückt werden, daß die Ränder sich nicht übereinander bewegen. Im dritten Falle c, bei welchem die Bewegung in der Diagonale geschieht, sind alle vier Seiten gefärbt.

Das dritte Feld, links des Beschauers. Hier denke man sich, daß eine farblose Scheibe e, durch ein Prisma hier mit a b bezeichnet, nach f gerückt werde, und durch ein anderes Prisma d c nach h; so wird, wenn man jedes Prisma besonders nimmt, die Erscheinung nach der Angabe der Tafel sein. Bringt man beide Prismen übereinander, so rückt das Bild in der Diagonale nach g und ist nach dem bekannten Gesetz gefärbt. Nur ist hier in der Tafel der Fehler, daß das erscheinende Bild g nicht weit genug weggerückt und nicht breit genug gefärbt ist. Welches man sich denken oder auf einem besondern Blatte leicht verbessern kann. Es ist dies der von Newton so oft urgierte Versuch mit dem Spektrum, das den Bückling macht.

Das vierte Feld, rechts des Beschauers. Hier werden die subjektiven Färbungen weißer Streifen auf schwarzem Grund und schwarzer auf weißem Grunde dargestellt. In der ersten Reihe sieht man den schwarzen und weißen Streifen noch mit schmalen Farben gesäumt. In der zweiten Reihe treten die Farbensäume aneinander, in der dritten übereinander, und in der vierten decken sich die innern oder äußern Farben völlig.

Wer sich diese zweite Tafel recht bekannt macht, dem wird es nicht schwer sein, alle subjektiven Versuche zu entwickeln.

EINGESCHALTETE TAFEL

IIa bezeichnet

Diese Tafel ist sorgfältig zusammengestellt, um auf einen Blick die bedeutendsten subjektiven prismatischen Farbenerscheinungen übersehen zu können. Auch in der Größe, wie sie hier gezeichnet ist, belehrt sie vollkommen, wenn man sie durch ein Prisma von wenigen Graden ansieht. Nirgends als da, wo Schwarz und Weiß grenzen, erblickt man Farben. So laufen sie an den wurmförmigen Zügen her, welche in der obern Ecke angebracht sind. So zeigen sie sich an jedem geradlinigen Rande, der mit der Achse des Prismas parallel bewegt wird. So fehlen sie an jedem, der mit der Achse des Prismas vertikal bewegt wird. Die angebrachte Fackel wird nach ebendemselben Gesetz gefärbt wie die Flamme der siebenten Figur auf der ersten Tafel. Die schwarze und die weiße Scheibe können zu Versuchen mit der Linse gebraucht werden. Wie denn auch in einiger Entfernung mit bloßem Auge entscheidend zu beobachten ist, daß die schwarze Scheibe viel kleiner als die weiße erscheint.

Wenn man dieser Tafel die Größe einer Elle gibt, so sind die darauf befindlichen Bilder zu allen Versuchen geschickt, die man auch mit Prismen von 60 Graden anstellen mag.

DRITTE TAFEL

Diese ist mit Sorgfalt von einem jeden Liebhaber der Farbenlehre ebenfalls in der Größe einer Elle und drüber nachzubilden, weil hieran alle Versuche, die wir in dem siebzehnten und achtzehnten Kapitel unseres Entwurfs angegeben haben (wenn nämlich graue und sodann farbige Bilder durch Brechung verrückt werden) zu sehen sind. Man tut wohl, sie auf eine Scheibe zu bringen, die sich vertikal drehen läßt. Nur derjenige, der sich mit dieser Tafel, und den Kapiteln, wodurch sie erläutert ist, recht bekannt gemacht, wird das Kaptiose und Unzulängliche des ersten Newtonischen Versuchs der Optik einsehen; und es war wohl der Mühe wert, auf alle Weise jenen Irrtum bis in den letzten Winkel zu verfolgen, welchem anzuhängen nun niemand mehr erlaubt sein kann.

VIERTE TAFEL

in dem oberen Felde sind die Mittelbilder der vorigen Tafel so vorgestellt, wie sie durchs Prisma gesäumt erscheinen; da man die Säume aber nur nach dem Gesetz, und nicht nach der Art, wie sie sich in der Erfahrung mit der Farbe des Bildes vermischen, illuminieren konnte, so ist das hier Dargestellte mehr als Wegweiser denn als die Sache selbst anzusehen; mehr als eine Versinnlichung dessen, was vorgeht, denn als das, was durch dieses Vorgehen entspringt, mehr als eine Entwickelung, eine Analyse der Erscheinung denn als die Erscheinung selbst. Wie denn überhaupt der Naturforscher sich von dem Buch und der Tafel erst wieder loszumachen hat, wenn er wahrhaften Nutzen von beiden ziehen Will.

Das untere Feld soll eine Versinnlichung desjenigen sein, was vorgeht, um die Achromasie durch zwei verschiedene Mittel zu bewirken.

Man denke sich zwischen beiden Linien a b und c d mehrere viereckte weiße Bilder auf einer schwarzen Tafel, wovon hier nur eins unter Nr. 1 angegeben ist. Man denke sich durch ein Prisma von Crownglas g ein gleiches Bild, was neben i gestanden hat, heruntergerückt, wie wir in Nr. 2 sehen. Es wird mit einem schmalen Saume gefärbt erscheinen. Ein drittes Bild werde durch ein Prisma von Flintglas gleichfalls nicht weitergerückt, als wir es in Nr. 3 erblicken, so wird dieses viel stärker gesäumt erscheinen. Man lasse nun ein solches Bild durch ein aus beiden Prismen zusammengelegtes Parallelepipedon g h in die Höhe an seine vorige Stelle bringen, so wird die Brechung aufgehoben, ein Überschuß von Färbung aber, der sich vorn Prisma h herschreibt, übrig bleiben, wie in Nr. 4. Gibt man nun dem Prisma h einen geringern Winkel, so wird die Farbenerscheinung aufgehoben, aber es bleibt Brechung übrig, wie wir bei Nr. 5 sehen. Dieses ist, glauben wir, für jeden eine bequeme Darstellung sowohl von dem Verhältnis des Ganzen, als besonders der Achromasie in Nr. 5 und der Hyperchromasie in Nr. 4.

FÜNFTE TAFEL

Wahrhafte Darstellung, wie die Farbe erscheint, wenn ein leuchtendes Bild durch Brechung objektiv verrückt wird. Die Figur oben links in der Ecke stellt erstlich ein Parallelepipedon von Glas vor, welches oben dergestalt zugedeckt ist, daß das Sonnenbild nur in der Mitte der Fläche durchfallen kann. Man sieht an den punktierten Linien, welchen Weg das Licht ohne Brechung nehmen würde; man sieht an den ausgezogenen Linien die Brechung im dichteren Mittel, sowie an den ins dünnere Mittel Übergehenden, zwar eine schwache aber doch deutliche Farbenerscheinung. Dieses ist der einfache Versuch, der dein prismatischen zum Grunde liegt. Beurteilt man die Farbensäume ihrer Bewegung nach, so würde man hier sagen können, der gelbrote und gelbe sei der meist, der blaue und blautote der wenigst refrangible, weil dieser in das Bild hinein, jener aus dem Bilde heraus zu streben scheint. Allein wer die Lehre von Verrückung des Bildes recht inne hat, der wird sich dieses scheinbare Rätsel sehr leicht erklären.

Nun denke man sich den untern, gezeichneten Keil weggenommen, so daß der obere allein wirkt, und es wird eine mächtigere Verrückung des Bildes und eine stärkere Färbung, zwar nach der andern Seite, aber doch nach denselben Gesetzen, entstehen.

Die größere Figur, welche zu betrachten man das Blatt die Quere nehmen wird, zeigt nunmehr ausführlich, was vorgeht, wenn ein leuchtendes Bild objektiv durchs Prisma verrückt wird. Die beiden Farbensäume fangen in einem Punkte an, da wo Hell und Dunkel aneinander grenzt; sie lassen ein reines Weiß zwischen sich, bis dahin, wo sie sich treffen, da denn erst ein Grün entspringt, welches sich verbreitert, zuvor das Blaue völlig und dann zuletzt auch das Gelbe aufzehrt. Das anstoßende Blaue und Blaurote können dieser grünen Mitte beim weitern Fortschritte nichts anhaben.

Nun betrachte man die unten gezeichneten Quer-Durchschnitte des obern Längen-Durchschnittes, als die Spektra, welche erscheinen, wenn man an diesen Stellen eine Pappe entgegenhält: und man wird finden, daß sie sich schrittweise verändern. Es ist angenommen, daß ein vierecktes leuchtendes Bild verrückt werde, welches die Sache viel deutlicher macht, weil die vertikalen Grenzen rein bleiben und die horizontalen Unterschiede der Farben deutlicher werden.

Der Durchschnitt, über welchen man oben eine punktierte Ellipse gezeichnet, ist ungefähr derjenige, wo Newton und seine Schüler das Bild auffassen, festhalten und messen, derjenige, wo die Maße mit der Tonskala zusammentreffen sollen. Bloß die aufmerksame Betrachtung dieser Tafel muß einen jeden, der nur geraden Sinn hat, auf einmal in den Fall setzen, sowohl das natürliche als jenes bestrittene Verhältnis zu übersehen.

SECHSTE TAFEL

Diese Einsicht wird vermehrt und gestärkt, wenn man hier vergleicht, was mit Verrückung eines völlig gleichen dunklen Bildes vorgeht. Hier ist eben das Austreten; eben das Verbreitern; hier bleibt das reine Dunkel, wie dort das reine Helle, in der Mitten. Die entgegengesetzten Säume greifen wieder übereinander, und wie dort Grün, so entsteht hier ein vollkommenes Rot. Nun braucht man nicht erst diese vorzügliche Farbe zu verschweigen. Dieses Spektrum, über ein dunkles Bild hervorgebracht, ist ebenso gut ein Spektrum als jenes über das helle Bild hervorgebrachte; beide müssen immer nebeneinander gehalten, parallelisiert und zusammen erwähnt werden, wenn man sichs klar machen will, worauf es ankommt. Diese beiden Tafeln, nebeneinander gestellt, recht betrachtet, recht bedacht und die Formel des verrückten Bildes dabei im rechten Sinne ausgesprochen, müssen den einseitigen Newtonischen Poltergeist auf immerdar verscheuchen.