Vorwort zur Farbenlehre

Ob man nicht, indem von den Farben gesprochen werden soll, vor allen Dingen des Lichtes zu erwähnen habe, ist eine ganz natürliche Frage, auf die wir jedoch nur kurz und aufrichtig erwidern: es scheine bedenklich, da bisher schon so viel und mancherlei von dem Lichte gesagt worden, das Gesagte zu wiederholen oder das oft Wiederholte zu vermehren.

Denn eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges. Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten.

Die Farben sind Taten des Lichts, Taten und Leiden. In diesem Sinne können wir von denselben Aufschlüsse über das Licht erwarten. Farben und Licht stehen zwar untereinander in dem genausten Verhältnis, aber wir müssen uns beide als der ganzen Natur angehörig denken: denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des Auges besonders offenbaren will.

Ebenso entdeckt sich die ganze Natur einem anderen Sinne. Man schließe das Auge, man öffne, man schärfe das Ohr, und vom leisesten Hauch bis zum wildesten Geräusch, vom einfachsten Klang bis zur höchsten Zusammenstimmung, von dem heftigsten leidenschaftlichen Schrei bis zum sanftesten Worte der Vernunft ist es nur die Natur, die spricht, ihr Dasein, ihre Kraft, ihr Leben und ihre Verhältnisse offenbart, so daß ein Blinder, dem das unendlich Sichtbare versagt ist, im Hörbaren ein unendlich Lebendiges fassen kann.

So spricht die Natur hinabwärts zu andern Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen; so spricht sie mit sich selbst und zu uns durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerksamen ist sie nirgends tot noch stumm; ja dem starren Erdkörper hat sie einen Vertrauten zugegeben, ein Metall an dessen kleinsten Teilen wir dasjenige, was in der ganzen Masse vorgeht, gewahr werden sollten.

So mannigfaltig, so verwickelt und unverständlich uns oft diese Sprache scheinen mag, so bleiben doch ihre Elemente immer dieselbigen. Mit leisem Gewicht und Gegengewicht wägt sich die Natur hin und her, und so entsteht ein Hüben und Drüben, ein Oben und Unten, ein Zuvor und Hernach, wodurch alle die Erscheinungen bedingt werden, die uns im Raum und in der Zeit entgegentreten.

Diese allgemeinen Bewegungen und Bestimmungen werden wir auf die verschiedenste Weise gewahr, bald als ein einfaches Abstoßen und Anziehen, bald als ein auf blickendes und verschwindendes Licht“ als Bewegung der Luft, als Erschütterung des Körpers, als Säurung und Entsäurung, jedoch immer als verbindend oder trennend, das Dasein bewegend und irgendeine Art von Leben befördernd.

Indem man aber jenes Gewicht und Gegengewicht von ungleicher Wirkung zu finden glaubt, so hat man auch dieses Verhältnis zu bezeichnen versucht. Man hat ein Mehr und Weniger, ein Wirken ein Widerstreben, ein Tun ein Leiden“ ein Vordringendes ein Zurückhaltendes, ein Heftiges ein Mäßigende -s, @ ein Männliches ein Weibliches überall bemerkt und genannt; und so entsteht eine Sprache, eine Symbolik, die man auf ähnliche Fälle als Gleichnis, als nah verwandten Ausdruck, als unmittelbar passendes Wort anwenden und benutzen mag.

Diese universellen Bezeichnungen, diese Natursprache auch auf die Farbenlehre anzuwenden, diese Sprache durch die Farbenlehre, durch die Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen zu bereichern, zu erweitern und so die Mitteilung höherer Anschauungen unter den Freunden der Natur zu erleichtern, war die Hauptabsicht des gegenwärtigen Werkes.

Die Arbeit selbst zerlegt sich in drei Teile. Der erste gibt den Entwurf einer Farbenlehre. In demselben sind die unzähligen Fälle der Erscheinungen unter gewisse Hauptphänomene zusammengefaßt, welche nach einer Ordnung aufgeführt werden, die zu rechtfertigen der Einleitung überlassen bleibt. Hier aber ist zu bemerken, daß, ob man sich gleich überall an die Erfahrungen gehalten, sie überall zum Grunde gelegt, doch die theoretische Ansicht nicht verschwiegen werden konnte, welche den Anlaß zu jener Aufstellung und Anordnung gegeben.

Ist es doch eine höchst wunderliche Forderung, die wohl manchmal gemacht, aber auch selbst von denen, die sie machen, nicht erfüllt wird: Erfahrungen solle man ohne irgend ein theoretisches Band vortragen, und dem Leser, dem Schüler überlassen, sich selbst nach Belieben irgendeine Überzeugung zu bilden. Denn das bloße Anblicken einer Sache kann uns nicht fördern. Jedes Ansehen geht über in ein Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Verknüpfen, und so kann man sagen, daß wir schon bei jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren. Dieses aber mit Bewußtsein, mit Selbstkenntnis, mit Freiheit, und um uns eines gewagten Wortes zu bedienen, mit Ironie zu tun und vorzunehmen, eine solche Gewandtheit ist nötig, wenn die Abstraktion, vor der wir uns fürchten, unschädlich und das Erfahrungsresultat, das wir hoffen, recht lebendig und nützlich werden soll.

Im zweiten Teil beschäftigen wir uns mit Enthüllung der Newtonischen Theorie, welche einer freien Ansicht der Farbenerscheinungen bisher mit Gewalt und Ansehen entgegengestanden; wir bestreiten eine Hypothese, die, ob sie gleich nicht mehr brauchbar gefunden wird, doch noch immer eine herkömmliche Achtung unter den Menschen behält. Ihr eigentliches Verhältnis muß deutlich werden, die alten Irrtümer sind wegzuräumen, wenn die Farbenlehre nicht, wie bisher, hinter so manchem anderen besser bearbeiteten Teile der Naturlehre zurückbleiben soll.

Da aber der zweite Teil unsres Werkes seinem Inhalte nach trocken, der Ausführung nach vielleicht zu heftig und leidenschaftlich scheinen möchte, so erlaube man uns hier ein heiteres Gleichnis, um jenen ernsteren Stoff vorzubereiten und jene lebhafte Behandlung einigermaßen zu entschuldigen.

Wir vergleichen die Newtonische Farbentheorie mit einer alten Burg, welche von dem Erbauer anfangs mit jugendlicher Übereilung angelegt, nach dem Bedürfnis der Zeit und Umstände jedoch nach und nach von ihm erweitert und ausgestattet, nicht weniger bei Anlaß von Fehden und Feindseligkeiten immer mehr befestigt und gesichert worden.

So verfuhren auch seine Nachfolger und Erben. Man war genötigt, das Gebäude zu vergrößern, hier daneben, hier daran, dort hinaus zu bauen, genötigt durch die Vermehrung innerer Bedürfnisse, durch die Zudringlichkeit äußerer Widersacher und durch manche, Zufälligkeiten.

Alle diese fremdartigen Teile und Zutaten mußten wieder in Verbindung gebracht werden durch die seltsamsten Galerien, Hallen und Gänge. Alle Beschädigungen, es sei von Feindeshand oder durch die Gewalt der Zeit, wurden gleich wieder hergestellt. Man zog, wie es nötig ward, tiefere Gräben, erhöhte die Mauern und ließ es nicht an Türmen Erkern und Schießscharten fehlen. Diese Sorgfalt, diese Bemühungen brachten ein Vorurteil von dem hohen Werte der Festung hervor und erhielten’s, obgleich Bau- und Befestigungskunst die Zeit über sehr gestiegen waren und man sich in andern Fällen viel bessere Wohnungen und Waffenplätze einzurichten gelernt hatte. Vorzüglich aber hielt man die alte Burg in Ehren, weil sie niemals eingenommen worden, weil sie so manchen Angriff abgeschlagen, manche Befehdung vereitelt und sich immer als Jungfrau gehalten hatte. Dieser Name dieser Ruf dauert noch bis jetzt. Niemanden fällt es auf, daß der alte Bau unbewohnbar geworden. Immer wird von seiner vortrefflichen Dauer, von seiner köstlichen Einrichtung gesprochen. Pilger wallfahrten dahin, flüchtige Abrisse zeigt man in allen Schulen herum und empfiehlt sie der empfänglichen Jugend zur Verehrung, indessen das Gebäude bereits leersteht, nur von einigen Invaliden bewacht, die sich ganz ernsthaft für gerüstet halten.

Es ist also hier die Rede nicht von einer langwierigen Belagerung oder einer zweifelhaften Fehde. Wir finden vielmehr jenes achte Wunder der Welt schon als ein verlassenes, Einsturz drohendes Altertum und beginnen sogleich von Giebel und Dach herab es ohne weitere Umstände abzutragen, damit die Sonne doch endlich einmal in das alte Ratten- und Eulennest hinein scheine und dem Auge des verwunderten Wanderers offenbare jene labyrinthisch unzusammenhängende Bauart, das enge Notdürftige, das zufällig Aufgedrungene, das absichtlich Gekünstelte, das kümmerlich Geflickte. Ein solcher Einblick ist aber alsdann nur möglich, wenn eine Mauer nach der andern, ein Gewölbe nach dem andern fällt und der Schutt, soviel sich tun läßt, auf der Stelle hinweggeräumt wird.

Dieses zu leisten und womöglich den Platz zu ebnen, die gewonnenen Materialien aber so zu ordnen, daß sie bei einem neuen Gebäude wieder benutzt werden können, ist die beschwerliche Pflicht, die wir uns in diesem zweiten Teile auferlegt haben. Gelingt es uns nun, mit froher Anwendung möglichstes Kraft und Geschickes, jene Bastille zu schleifen und einen freien Raum zu gewinnen, so ist keinesweges die Absicht, ihn etwa sogleich wieder mit einem neuen Gebäude zu überbauen und zu belästigen; wir wollen uns vielmehr desselben bedienen, um eine schöne Reihe mannigfaltiger Gestalten vorzuführen.

Der dritte Teil bleibt daher historischen Untersuchungen und Vorarbeiten gewidmet. Äußerten wir oben, daß die Geschichte des Menschen den Menschen darstelle, so läßt sich hier auch wohl behaupten, daß die Geschichte der Wissenschaft die Wissenschaft selbst sei. Man kann dasjenige, was man besitzt, nicht rein erkennen, bis man das, was andre vor uns besessen3 zu erkennen weiß. Man wird sich an den Vorzügen seiner Zeit nicht wahrhaft und redlich freuen, wenn man die Vorzüge der Vergangenheit nicht zu würdigen versteht. Aber eine Geschichte der Farbenlehre zu schreiben oder auch nur vorzubereiten war unmöglich, solange die Newtonische Lehre bestand. Denn kein aristokratischer Dünkel hat jemals mit solchem unerträglichen Übermute auf diejenigen herabgesehen, die nicht zu seiner Gilde gehörten, als die Newtonische Schule von jeher über alles abgesprochen hat, was vor ihr geleistet war und neben ihr geleistet ward. Mit Verdruß und Unwillen sieht man, wie Priestley in seiner Geschichte der Optik, und so manche vor und nach ihm, das Heil der Farbenwelt von der Epoche eines gespalten sein sollenden Lichtes herdatieren, und mit hohem Augbraun auf die ältern und mittleren herabsehen, die auf dem rechten Wege ruhig hingingen und im einzelnen Beobachtungen und Gedanken überliefert haben, die wir nicht besser anstellen können, nicht richtiger fassen werden.

Von demjenigen nun, der die Geschichte irgendeinem Wissens überliefern will, können wir mit Recht verlangen, daß er uns Nachricht gebe, wie die Phänomene nach und nach bekannt geworden, was man darüber phantasiert, gewähnt, gemeint und gedacht habe. Dieses alles im Zusammenhange vorzutragen, hat große Schwierigkeiten, und eine Geschichte zu schreiben ist immer eine bedenkliche Sache. Denn bei dem redlichsten Vorsatz kommt man in Gefahr unredlich zu sein; ja wer eine solche Darstellung unternimmt erklärt zum voraus, daß er manches ins Licht, manches in Schatten setzen werde.

Und doch hat sich der Verfasser auf eine solche Arbeit lange gefreut. Da aber meist nur der Vorsatz als ein Ganzes vor unserer Seele steht, das Vollbringen aber gewöhnlich nur stückweise geleistet wird, so ergeben wir uns darein, statt der Geschichte Materialien zu derselben zu liefern. Sie bestehen in Übersetzungen, Auszügen, eigenen und fremden

Urteilen, Winken und Andeutungen, in einer Sammlung, der, wenn sie nicht allen Forderungen entspricht, doch das Lob nicht mangeln wird, daß sie mit Ernst und Liebe gemacht sei. Übrigens mögen vielleicht solche Materialien, zwar nicht ganz unbearbeitet, aber doch unverarbeitet, dem denkenden Leser um desto angenehmer sein, als er selbst sich, nach eigener Art und Weise, ein Ganzes daraus zu bilden die Bequemlichkeit findet.

Mit gedachtem dritten historischen Teil ist jedoch noch nicht alles getan. Wir haben daher noch einen vierten supplementaren hinzugefügt. Dieser enthält die Revision, um derentwillen vorzüglich die Paragraphen mit Nummern versehen worden. Denn indem bei der Redaktion einer solchen Arbeit einiges vergessen werden kann, einiges beseitigt werden muß, um die Aufmerksamkeit nicht abzuleiten, anderes erst hintendrein erfahren wird, auch anderes einer Bestimmung und Berichtigung bedarf, so sind Nachträge, Zusätze und Verbesserungen unerläßlich. Bei dieser Gelegenheit haben wir denn auch die Zitate nachgebracht. Sodann enthält dieser Band noch einige einzelne Aufsätze, zum Beispiel über die atmosphärischen Farben, welche, indem sie in dem Entwurf zerstreut vorkommen, hier zusammen und auf einmal vor die Phantasie gebracht werden.

Führt nun dieser Aufsatz den Leser in das freie Leben, so sucht ein anderer das künstliche Wissen zu befördern, indem er den zur Farbenlehre künftig nötigen Apparat umständlich beschreibt.

Schließlich bleibt uns nur noch übrig der Tafeln zu gedenken, welche wir dem Ganzen beigefügt. Und hier werden wir freilich an jene Unvollständigkeit und Unvollkommenheit erinnert“ welche unser Werk mit allen Werken dieser Art gemein hat.

Denn wie ein gutes Theaterstück eigentlich kaum zur Hälfte zu Papier gebracht werden kann, vielmehr der größere Teil desselben dem Glanz der Bühne, der Persönlichkeit des Schauspielers, der Kraft seiner Stimme, der Eigentümlichkeit seiner Bewegungen, ja dem Geiste und der guten Laune des Zuschauers anheimgegeben bleibt, so ist es noch viel mehr der Fall mit einem Buche, das von natürlichen Erscheinungen handelt. Wenn es genossen, wenn es genutzt werden soll, so muß dem Leser die Natur entweder wirklich oder in lebhafter Phantasie gegenwärtig sein. Denn eigentlich sollte der Schreibende sprechen und seinen Zuhörern die Phänomene, teils wie sie uns ungesucht entgegenkommen, teils wie sie durch absichtliche Vorrichtungen nach Zweck und Willen dargestellt werden können, als Text erst anschaulich machen; alsdann würde jedes Erläutern, Erklären, Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht ermangeln.

Ein höchst unzulängliches Surrogat sind hiezu die Tafeln, die man dergleichen Schriften beizulegen pflegt. Ein freies physisches Phänomen, das nach allen Seiten wirkt, ist nicht in Linien zu fassen und im Durchschnitt anzudeuten. Niemand fällt es ein, chemische Versuche mit Figuren zu erläutern; bei den physischen nah verwandten ist es jedoch hergebracht, weil sich eins und das andre dadurch leisten läßt. Aber sehr oft stellen diese Figuren nur Begriffe dar; es sind symbolische Hülfsmittel, hieroglyphische Überlieferungsweisen, welche sich nach und nach an die Stelle des Phänomens, an die Stelle der Natur setzen und die wahre Erkenntnis hindern, anstatt sie zu befördern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln nicht; doch haben wir sie so einzurichten gesucht, daß man sie zum didaktischen und polemischen Gebrauch getrost zur Hand nehmen, ja gewisse derselben als einen Teil des nötigen Apparats ansehen kann.

Und so bleibt uns denn nichts weiter übrig, als auf die Arbeit selbst hin zu weisen, und nur vorher noch eine Bitte zu wiederholen, die schon so mancher Autor vergebens getan hat und die besonders der deutsche Leser neuerer Zeit so selten gewährt:

Si quid novisti rectius istis,
Candidus imperti; si non, bis utere mecum.